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Eine Notstation

Eine Notstation... Das Handy vibriert. Der Blick aufs Display. "Können Sie aufnehmen?" Man fragt nach. Man bekommt ein Bild. Sofort sagt man zu. Was brauche ich jetzt? Wo sind die Notfallsachen? Aufnahmemappe, Transportbox, Autoschlüssel, Adresse eingeben, die Finger zittern, los! Nur los! Gedanken während der Fahrt. Was erwartet mich gleich? Wie ist der Zustand der Tiere? Wurde ich noch rechtzeitig um Hilfe gebeten? Ist mein Tierarzt heute noch erreichbar? "Sie haben Ihr Ziel erreicht." Noch einmal durchatmen, aussteigen, klingeln. Man bittet mich herein, auf direktem Weg ins Kinderzimmer, in der Ecke ein Käfig, zwei Meerschweinchen sind zu sehen - kein Wunder, es ist ja kein Haus vorhanden, wo sie sich verstecken könnten. Man fragt nach Geschlecht, Alter, Auffälligkeiten, Abgabegrund. Weibchen und Bock, Alter weiß man nicht, das Weibchen wird immer dicker. Die Kinder haben keinen Spaß mehr an den Tieren. Ok, man denkt sich seinen Teil und sagt lieber nichts... Schnell die Schweinchen in die Box, Papierkram hinter sich bringen und raus, ab ins Auto. Durchatmen. Zu Hause angekommen, schnell zwei Quarantäne Gehege aufgebaut, Schweinchen aus der Box und kurz durchchecken. Eine Krallenschere haben beide wohl noch nie gesehen, ein paar kahle Stellen im Fell, noch eben abtasten, habe ich da gerade Tritte gespürt? Nochmal die Hand dran halten, ja da sind deutliche Bewegungen im Bauch. Beide Tiere ins Gehege gesetzt, damit sie nun Ruhe bekommen nach dem ganzen Stress. Erstmal einen Kaffee trinken, durchatmen. Man nimmt das Telefon, Anruf bei der Tierärztin, Termin zum Durchchecken für den Bock und Abgabe von Kotprobe. Mir fällt ein, heute ist Donnerstag, nachfragen, wer am Wochenende Notdienst hat, ein Glück! Meine Praxis hat Notdienst! Termin ist gemacht. Jetzt die Buchhaltung, alles genau aufschreiben. Das Telefon klingelt. Jemand möchte sich über Meerschweinchen informieren, 30 Minuten Gespräch, am Ende wird sich bedankt, man überlegt es sich. Man öffnet den Posteingang, viele neue Mails, man beantwortet alle. Ein Blick auf die Uhr, 20 Uhr, wo ist eigentlich die Zeit geblieben? Medikamente vorbereiten, den anderen Schweinchen verabreichen, Gehege noch sauber machen, Futter vorbereiten. 23 Uhr. Ich sollte so langsam ins Bett, um 5:30 Uhr klingelt der Wecker. Noch schnell nach dem trächtigen Weibchen gucken, alles gut, sie liegt in ihrem Häuschen. Ab ins Bett. 1 Uhr, ich werde wach, gehe nochmal nachschauen, alles gut. 4 Uhr, wieder wach, immer noch alles gut. Schlafen lohnt nun auch nicht mehr, also erstmal Kaffee. 6 Uhr, Zeit zum Füttern, Futter rein und gucken, ob in jedem Gehege alle zum Fressen kommen, alles gut, alle fressen. Los geht's zur Arbeit, die Gedanken immer bei den Schweinchen, heute vor allem bei der Trächtigen. Feierabend. Noch schnell Futter besorgen und ab nach Hause. Der erste Weg geht zum Gehege der Trächtigen, aber was ist das? Zwei Babys wuseln sich neben ihr. Moment, da ist noch ein drittes, es bewegt sich nicht! Rausnehmen, Handtuch und rubbeln. Es atmet! Puh! Ich setze es erstmal zurück, alle drei trinken bei der Mami. Erstmal durchatmen. Kurze Zeit später die Babys genau anschauen und wiegen. Zwei Böcke, ein Weibchen, die Jungs 70 und 76 Gramm, sehr gut! Das Weibchen 45 Gramm, nicht gut! Sie trinkt auch nicht so viel bei der Mama. Also Aufzuchtmilch rausgesucht, nun heißt es alle zwei Stunden zufüttern, beten und hoffen. Sie nimmt die Milch gerne an. Nebenbei noch die anderen Schweinchen versorgen, Gehege reinigen. Immer wieder piept das Handy nebenher, Anfragen zur Aufnahme, Beratungsfragen, gesundheitliche Fragen - der ganz normale Alltag. Und wieder ist es 23 Uhr geworden, bis ich zur Ruhe kommen kann. Noch einmal das Baby füttern und den Wecker stellen - 1 Uhr, 3 Uhr, 5 Uhr, 7 Uhr. So geht es das ganze Wochenende weiter. Sonntagabend, das Baby hat 51 Gramm und trinkt auch gut bei der Mama, nur selbst fressen mag sie noch nicht viel. Ich erhöhe den Intervall zum Zufüttern auf 3,5 Stunden, das bekomme ich auch mit der Arbeit hin. Montagmorgen, 5:30 Uhr, drei Nächte fast ohne Schlaf, ich bin total gerädert. Schweinchen füttern, Baby zufüttern und auf zur Arbeit, zwischendurch immer schnell nach Hause, zufüttern, wieder zurück. 1,5 Stunden später Feierabend. Nach Hause, das Böckchen einpacken, Kotproben nehmen und los zum Tierarzt, Check erledigt, Termin für die Kastration am nächsten Tag. Nach einer Woche zufüttern, beten und kämpfen ist das kleine Weibchen endlich über den Berg! Endlich etwas Schlaf nachholen. Die Wochen ziehen ins Land, immer wieder Aufnahmen, kaum Vermittlungen, die Baby-Böckchen mit knapp 3 Wochen frühkastriert, so dürfen sie noch lange mit ihrer Mami und ihrer tapferen Schwester zusammen bleiben. Viele Wochen später darf die Mami mit ihrer Tochter in eine bestehende Gruppe ziehen, auch die drei Kastraten finden nach einiger Zeit ein tolles Zuhause. Ich bekomme immer wieder Bilder und Infos und wünsche mir nichts mehr, als dass es so bleibt und jedes einzelne Schweinchen glücklich, bis ans Lebensende ein wunderschönes Leben in einem tollen Zuhause haben wird.

Was ich euch mit dem Text sagen möchte: Hinter einer Notstation steckt so viel mehr als "nur" Aufnehmen, Pflegen, Vermittlen. Wir opfern teilweise unsere gesamte Freizeit für Fahrten zur Abholung, Tierarzt, verbringen Stunden am Telefon, beraten, klären auf, päppeln und kämpfen um jedes einzelne Tier. Wir gehen an unsere Grenzen und oft darüber hinaus. Und ja, wir machen das gerne! Aber manchmal wünschen wir uns etwas mehr Verständnis, wenn eine Antwort mal länger dauert, wir eine Aufnahme ablehnen müssen - das machen wir nicht, um euch zu ärgern, sondern vielleicht, weil wir gerade damit beschäftigt sind, Leben zu retten. Ein Leben und allgemein die Versorgung der Tiere geht immer vor allem anderen!


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